Wie sich Stress auf Körper und Seele auswirkt
Stress wird häufig als Begleiterscheinung des Alltags empfunden – gar als Statussymbol der heutigen Leistungsgesellschaft. Tatsächlich verhilft uns Stress zu schnellen Reaktionen und Entscheidungen. Zuviel davon macht jedoch krank: Eine Auswertung der KKH Kaufmännische Krankenkasse im Sommer 2023 ergab einen dramatischen Anstieg der Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei jungen Menschen und immer mehr Fehlzeiten aufgrund von Stress.
Eine Krise jagt die nächste, die Arbeit wächst einem über den Kopf, private Sorgen treiben das Ganze auf die Spitze: Immer mehr Menschen stehen unter Druck. Laut einer aktuellen forsa-Umfrage im Auftrag der KKH Kaufmännische Krankenkasse hat jede bzw. jeder Zweite das Gefühl, dass das Leben in den vergangenen ein bis zwei Jahren anstrengender und stressiger geworden ist. 84 Prozent der 18- bis 70-Jährigen fühlen sich zumindest gelegentlich gestresst. 43 Prozent geben an, dass sie häufig oder sogar sehr häufig am Anschlag sind.
Stress ist nicht grundsätzlich schlecht. Seit Urzeiten ist der Körper des Menschen darauf programmiert, auf Bedrohungen mit „Kampf oder Flucht“ zu reagieren. Begegnete ein steinzeitlicher Jäger in der Wildnis einem Säbelzahntiger, musste sein Körper blitzschnell Energie mobilisieren, um entweder gegen die Bestie zu kämpfen oder schnell genug vor ihr zu fliehen. Noch heute spielt sich diese überlebenswichtige Reaktion in unserem Körper ab, wenn wir gestresst sind: Die Nebennieren setzen Hormone wie Adrenalin und Cortisol frei. Das Nervensystem läuft auf Hochtouren, Luftröhre und Bronchien erweitern sich, das Herz beginnt schneller zu schlagen, das Blut strömt verstärkt in die Muskulatur. Andere Funktionen, die nicht unbedingt nötig sind, um die Situation zu bewältigen, werden vorübergehend heruntergefahren, beispielsweise die Verdauung.
Chronischer Stress macht krank
Diese „Kampf- oder Fluchtreaktion“ macht uns zunächst leistungsfähiger. Menschen in erhöhter Alarmbereitschaft sind aufmerksamer und konzentrierter. Sie schaffen mehr, weil der Körper mehr Energie freisetzt. Auf der Suche nach einem Ausweg kommen sie nicht selten auf kreative Ideen und effektive Lösungen. Problematisch wird es, wenn der Stress chronisch wird: Dann ist er nicht mehr motivierend, sondern macht krank, zieht Burnout, Konzentrations- und Schlafstörungen, Verdauungsprobleme und Herz-Kreislauferkrankungen nach sich. Letztere haben von 2011 bis 2021 um rund 17 Prozent zugenommen.
„Dauerstress gehört zu den wichtigsten vermeidbaren Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagt KKH-Ärztin Dr. Sonja Hermeneit. Daten der Kasse zeigen, dass bei Versicherten mit Erkrankungen des Herzens und der Blutgefäße der Anteil der Patientinnen und Patienten mit stressbedingten psychischen Leiden um ein Viertel höher ist bei Menschen ohne Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Mittlerweile erhält eine bzw. einer von zehn Herzpatientinnen und Herzpatienten zusätzlich eine Stressdiagnose.
Immer mehr jüngere Menschen mit Herz-Kreislauf-Leiden
Oft wird angenommen, dass von Herz-Kreislauf-Erkrankungen hauptsächlich ältere Menschen betroffen sind. Doch die KKH-Daten zeigen, dass diese immer mehr jüngeren Menschen zusetzen. So gab es den größten Anstieg bei Bluthochdruck mit einem Plus von 11 Prozent zwischen 2019 und 2021 unter den 20- bis 24-Jährigen. Bei den 30- bis 34-Jährigen nahmen die Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Kombination mit stressbedingten Diagnosen um neun Prozent zu. „Chronischer Stress und enorme psychische Belastungen steigern das Risiko für einen hohen Blutdruck und die Entwicklung weiterer Herzerkrankungen“, erläutert Dr. Sonja Hermeneit, „das gilt auch für jüngere Patienten und Patientinnen ohne Vorerkrankungen.“ Stress als Treiber dieser Diagnosen müsse ernst genommen werden.
Wer gestresst ist, fühlt sich unruhig, nervös und gereizt – das gaben 64 Prozent der Befragten an. 62 Prozent fühlen sich müde oder leiden an Schlafstörungen. 59 Prozent sagen, sie seien erschöpft und ausgebrannt. Vielen Betroffenen schlägt der Stress zudem auf die Seele: Jede bzw. jeder dritte Befragte fühlt sich niedergeschlagen und depressiv. Eine bzw. einer von sechs Befragten leidet unter stressbedingten Angstzuständen, bei den 18- bis 34-Jährigen ist es sogar jede oder jeder Vierte.
Doch was ist so stressig? Laut Umfrage sind es vor allem die hohen Ansprüche an sich selbst. Jede bzw. jeder Zweite setzt sich unter Druck, bei den 18- bis 34-Jährigen sogar rund zwei Drittel. 43 Prozent der Befragten fühlen sich von Ausbildung und Beruf belastet, bei den 18- bis 34-Jährigen sind es 65 Prozent. Generationenübergreifende Stressauslöser sind politische und gesellschaftliche Ereignisse wie Klimawandel, Inflation oder Ukraine-Krieg (44 Prozent). Jeweils rund ein Drittel beklagt die ständige Erreichbarkeit über das Smartphone, die notgedrungene Präsenz in den sozialen Netzwerken und Konflikte in der Familie.
Stressbedingte Fehlzeiten am Arbeitsplatz nehmen zu
Das Ganze bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Daten der KKH zeigen, dass Fehlzeiten aufgrund seelischer Leiden vom ersten Halbjahr 2022 zum ersten Halbjahr 2023 um 85 Prozent gestiegen sind. Demnach kamen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres auf 100 KKH-Mitglieder 303 Ausfalltage. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 164 Tage. „Diese Entwicklung ist alarmierend, denn wir haben schon jetzt fast das Niveau des gesamten Jahres 2022 erreicht“, sagt KKH-Arbeitspsychologin Antje Judick. „Mit Blick auf die Jahre zuvor liegen wir sogar schon über dem Durchschnitt.“ Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2022 registrierte die KKH 339 Fehltage pro 100 Mitglieder aufgrund von Depressionen, Anpassungsstörungen, Angststörungen & Co.; 2021 und 2020 waren es 287 und im Vor-Corona-Jahr 2019 rund 274 Tage.
Nicht nur die Fehlzeiten nahmen dramatisch zu, sondern auch die Zahl der Menschen, die sich wegen seelischer Leiden krankschreiben ließen. So stieg die Arbeitsunfähigkeitsquote (AU-Quote), also die Zahl der Krankschreibungen im Verhältnis zu den berufstätigen Mitgliedern, im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund 32 Prozent. „Der besonders starke Zuwachs bei den Fehlzeiten deutet darauf hin, dass es zunehmend schwere, langwierige Fälle von psychischen Erkrankungen gibt“, sagt Antje Judick. Die Arbeitspsychologin beobachtet diese Entwicklung mit Sorge – auch mit Blick auf diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die solche Arbeitsausfälle abfedern müssen und selbst Gefahr laufen, einen Burnout oder andere erschöpfungsbedingte psychische Erkrankungen zu entwickeln.
Die längsten Fehlzeiten von durchschnittlich 112 beziehungsweise 71 Tagen gingen im ersten Halbjahr 2023 auf wiederkehrende Depressionen und depressive Episoden zurück. Die häufigsten Diagnosen, die mit 41 Prozent den Großteil der psychisch bedingten Krankschreibungen ausmachten, sind akute Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen. Hier stieg auch die AU-Quote mit einem Plus von 42 Prozent am stärksten an. „Dies zeigt wiederum, dass immer mehr Arbeitnehmende unter ungewöhnlichem Druck, großen Belastungen und Dauerstress stehen“, erläutert Judick. Besonders betroffen seien Beschäftigte in sozialen Berufen wie in der Alten- und Krankenpflege, in der Kinderbetreuung sowie im Verkauf.
Gesundheitsförderung mit der KKH
Um den Stress zu bewältigen, ist es wichtig, den Auslöser zu finden und Strategien dagegen und für mehr Entspannung zu entwickeln. Manchen Menschen helfen Techniken wie Yoga, Meditation und Muskelentspannung. Auch mehr Bewegung im Alltag und Sport können dabei helfen abzuschalten. Der Ernährung kommt im Kampf gegen Stress ebenfalls eine wichtige Rolle zu: Ein ausgewogener Speiseplan reduziert die gesundheitlichen Folgen von chronischen Belastungen. Gesunde Lebensmittel machen widerstandsfähiger gegenüber Stress und bringen mehr Gelassenheit ins Leben.
Um das Risiko für psychische Erkrankungen im Job zu senken, entwickelt die KKH mit kooperierenden Betrieben im Zuge der betrieblichen Gesundheitsförderung Konzepte zum Erhalt der psychischen Gesundheit von Mitarbeitenden:
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