Hannover, 04.05.2022
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Pfleger und Physiotherapeuten, die keine sind, abgerechnete Leistungen, die nie erbracht wurden: Durch solche und weitere Betrugsdelikte ist der KKH Kaufmännische Krankenkasse im vergangenen Jahr der bislang größte Schaden von 4,7 Millionen Euro entstanden. Für den traurigen Rekord verantwortlich sind vor allem ambulante Pflegedienste. Sie erschwindelten sich mit knapp 3,4 Millionen Euro den größten Batzen zulasten der Kranken- und Pflegeversicherung der KKH – nämlich etwa 70 Prozent der Gesamtsumme. Dass dieser immense Schaden überhaupt aufgedeckt werden konnte, ist vor allem auf die Ermittlungserfolge der Staatsanwaltschaft gegen mehrere Pflegedienste im Raum Augsburg zurückzuführen. „Es sind zwar immer nur einige wenige schwarze Schafe, die kriminell agieren. Doch diese bereichern sich an Geldern, die den Versicherten für die Vorsorge und die Behandlung von Krankheiten vorbehalten sind“, betont KKH-Chefermittlerin Dina Michels. „Solche Betrüger erschüttern mit ihren Machenschaften das Vertrauen in das komplette Gesundheitssystem und bringen darüber hinaus die ehrlichen Leistungserbringer ihres jeweiligen Berufsstandes in Verruf.“
Das Tückische: Häufig kommen derartige Straftaten erst gar nicht ans Licht. Die Dunkelziffer im Gesundheitssektor ist hoch, die Schlupflöcher für Kriminelle zahlreich. Die Prüfgruppe Abrechnungsmanipulation der KKH erhielt 2021 immerhin bundesweit 352 neue Betrugshinweise. Ganz oben auf der Skala stehen Pflegedienste mit 147 Tatverdächtigen, gefolgt von Krankengymnasten und Physiotherapeuten (50 Tatverdächtige) sowie Ärzten (35 Tatverdächtige). Insgesamt entfielen im vergangenen Jahr fast die Hälfte aller Hinweise auf den Bereich Pflege (46 Prozent). Die Palette reicht von Pflegeheim- und Pflegedienstbetreibern, die zu viel für unqualifiziertes Personal abkassieren bis hin zu Versicherten, die ihren Pflegegrad manipulieren. Dina Michels wundert das nicht: Die Pflege sei besonders anfällig für Straftaten. Seit Jahren registriere die KKH in diesem Bereich die meisten Fälle. „Hier wirken sich einerseits die jährlichen Abrechnungsprüfungen durch den Medizinischen Dienst aus. Andererseits scheinen in diesem Leistungsbereich immer mehr Menschen mit hoher krimineller Energie unterwegs zu sein“, bilanziert die KKH-Juristin.
Betrogen wird aber nicht nur in der Pflege, sondern auch in vielen anderen Bereichen des Gesundheitswesens – angefangen von Apotheken und Krankenhäusern bis hin zu Sanitätshäusern und Zahnarztpraxen. Dina Michels: „Hinter jedem Fall von Abrechnungsbetrug steht der Versuch, den eigenen Gewinn illegal zu maximieren – und zwar immer auf Kosten der Versicherten.“ Da werden Höchstsätze für unqualifiziertes Personal abkassiert, Berufsurkunden und Rezepte gefälscht oder Behandlungen und Krankenfahrten abgerechnet, die frei erfunden sind. In einem der spektakulärsten Fälle der Vergangenheit panschte ein Apotheker im großen Stil Krebsmedikamente. Damit bereicherte er sich nicht nur um mehrere Millionen Euro (allein zu Lasten der KKH um 1,5 Millionen Euro), sondern gefährdete vor allem Menschenleben.
Die Pandemie hat darüber hinaus weitere Betrugsfelder eröffnet. Manipulierte Abrechnungen von Corona-Schnelltests in diversen Berliner Testzentren, unberechtigt vom Staat kassierte Corona-Soforthilfen in Millionenhöhe in Hamburg, gefälschte Impfausweise, die ein Mann in Sachsen an Dritte weiterverkauft haben soll, zählt Dina Michels als Beispiele auf. „Zwar sind in diesen Fällen die Krankenkassen nicht direkt betroffen. Doch natürlich müssen auch diese Delikte so schnell wie möglich aufgedeckt und strafrechtlich verfolgt werden.“
Um derartigen Straftaten überhaupt auf die Schliche kommen zu können, sind Krankenkassen vor allem auf Hinweise angewiesen, etwa vom Medizinischen Dienst (MD), anderen Krankenkassen, Medien und der Polizei. Die meisten Tipps bekam die KKH im vergangenen Jahr aus Nordrhein-Westfalen (113). Es folgen mit deutlichem Abstand Bayern (33) und Baden-Württemberg (32). „Doch diese Hinweise allein reichen nicht aus, um die Betrüger dingfest zu machen“, betont Michels. Voraussetzung für einen erfolgreichen Kampf gegen kriminelle Machenschaften im Gesundheitswesen sei ein engmaschiges Netz aus professionellen Ermittlern. „Es darf nicht mehr passieren, dass begründete Verfahren mangels Spezialwissen eingestellt werden. Für die Täter ist das wie ein Freifahrtschein.“ Inzwischen gehen in den meisten Bundesländern landesweit Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften oder eigens geschulte Fachkommissare der Kriminalpolizei Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitssektor intensiv nach. „Dies sollte schnellstmöglich in allen Bundesländern der Fall sein“, fordert Dina Michels.
Die TOP DREI nach Höhe der Schadenssumme 2021 (gerundet):
Die TOP DREI nach Zahl der Tatverdächtigen 2021:
Die TOP DREI nach Zahl der Anfangsverdachte 2021:
Am 4. und 5. Mai 2022 findet bei der KKH die 9. Fachtagung „Betrug im Gesundheitswesen“ statt, unter der Schirmherrschaft von Prof. Dr. Edgar Franke, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit. Die dieses Mal hybrid durchgeführte Veranstaltung gilt nach wie vor als Geheimtipp mit Exklusivcharakter. Zu den Referenten zählen herausragende Persönlichkeiten aus der Rechtsprechung, aus Ermittlungsbehörden und der Rechtsanwaltschaft. Die Experten kommen bundesweit aus allen Institutionen, die sich im weitesten Sinne – auch wissenschaftlich – mit der Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen beschäftigen. Sie diskutieren vor Ort sowie online über neue Rechtsprechung, Strategien für erfolgreiche Ermittlungen und Auswirkungen neuer Gesetze.
Ein renommierter Experte für Korruptionsstrafsachen ist Oberstaatsanwalt André Schmidt von der Staatsanwaltschaft Braunschweig: „Betrug im Gesundheitswesen ist kein Kavaliersdelikt. In letzter Konsequenz zahlen wir alle drauf, denn die unzulässig entzogenen Gelder müssen durch die Solidargemeinschaft finanziert werden.“ Und nach Schätzungen des Statistischen Bundesamts steigen die Ausgaben im Gesundheitssektor immer weiter an – allein im Jahr 2021 auf einen Höchstwert von insgesamt 466 Milliarden Euro. „Diese Summe setzt bei einzelnen Leistungserbringern ein hohes Maß an Energie frei, gesetzwidrig Gelder einzustreichen. Deshalb ist es wichtig, dass alle Verantwortlichen bei der Bekämpfung von Straftaten im Gesundheitswesen an einem Strang ziehen“, appelliert Schmidt. „Darüber hinaus ist der Schutz von Hinweisgebern von besonderer Bedeutung, damit die Ehrlichen am Ende nicht die Dummen sind.“
Weitere Informationen zur Fachtagung finden Sie unter kkh.de/abrechnungsbetrug. Auf dieser Website nimmt die KKH zudem Tipps auf Fehlverhalten im Gesundheitswesen über ein elektronisches Hinweisgebersystem sowohl namentlich als auch anonym entgegen. Alternativ ist dies auch per Mail an betrugsverdacht@kkh.de möglich.
Hinweis für die Redaktionen: Audiomaterial für Radiosender finden Sie unter pointoflistening.de.
Die KKH Kaufmännische Krankenkasse ist eine der größten bundesweiten gesetzlichen Krankenkassen mit mehr als 1,6 Millionen Versicherten. Nähere Informationen erhalten Sie unter kkh.de/kurzportrait.
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