Hannover, 15.05.2024
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Die deutliche Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger im Alter von 18 bis 70 Jahren (62 Prozent) hält das deutsche Gesundheitswesen anfällig für Betrug und Korruption. 18 Prozent davon stufen es sogar als sehr anfällig ein. Das ist das Ergebnis einer aktuellen forsa-Umfrage im Auftrag der KKH Kaufmännische Krankenkasse.
Wie richtig die Befragten mit ihrer Einschätzung liegen, zeigen neueste KKH-Daten. Demnach entstand der Kranken- und Pflegeversicherung der Ersatzkasse durch Betrug, Korruption oder Urkundenfälschung allein 2023 ein Schaden von rund 3,5 Millionen Euro. Das ist eine der höchsten Gesamtschadenssummen seit Gründung der bundesweit ersten Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen bei der KKH vor 23 Jahren. Den größten Schadenswert verursachten im vergangenen Jahr ambulante Pflegedienste mit rund 1,9 Millionen Euro, gefolgt von Apotheken mit gut einer Million Euro. Dank detektivischer Puzzlearbeit des KKH-Ermittlerteams konnten 2023 bei den Geldeingängen rund 1,25 Millionen Euro an Regressforderungen verbucht werden, so viel wie nie zuvor.
Pflege: Brennpunkt mit hohem Risiko für Bedürftige
Ob Pseudo-Pflegepersonal eingesetzt, Arzneien gepanscht, Versichertenkarten missbraucht, nie erfolgte Behandlungen abgerechnet oder Berufsurkunden gefälscht werden: Betrug und Korruption ziehen sich quer durch alle Leistungsbereiche des Gesundheitssystems – von Arztpraxen und Apotheken über Pflegeeinrichtungen, Kranken- und Sanitätshäuser bis hin zu Praxen für Physio- und Ergotherapie. Allein im zurückliegenden Jahr gingen bundesweit 553 neue Hinweise auf möglichen Betrug bei der KKH-Prüfgruppe Abrechnungsmanipulation ein. Die meisten davon betreffen die ambulante (179) und die stationäre Pflege (167). Damit gehen rund zwei Drittel aller Neufälle auf das Konto von Pflegeeinrichtungen. Rang drei belegen Krankengymnastik- und Physiotherapiepraxen mit 74 Hinweisen.
Die reinen Leistungsausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stiegen 2022 auf den Höchstwert von 274,2 Milliarden Euro. „Das weckt bei manch einem Begehrlichkeiten, sich ein Stück vom ‚Milliardenkuchen Gesundheitssystem‘ abzuschneiden“, sagt KKH-Chefermittlerin Dina Michels. Dabei betont sie, dass es immer nur einige wenige Kriminelle sind, die mit ihren Betrügereien dem Ansehen ehrlicher Berufskolleg*innen schaden. Doch die gehen teils skrupellos vor, gefährden mitunter sogar Menschenleben, um illegal hohe Summen einzustreichen. Laut der Juristin hat sich der Pflegebereich zu einem Brennpunkt entwickelt. Ein Fallbeispiel: „Bei einem ambulanten Pflegedienst besteht der Verdacht, dass Pflegebedürftige intensivmedizinisch von Personal versorgt wurden, das dafür nicht ausgebildet war. Lebensnotwendige Medikamente wurden fehlerhaft gegeben, eklatante Mängel in der Hygiene in Kauf genommen und zudem Leistungen abgerechnet, die nie erbracht wurden.“ Die KKH hat neben anderen Krankenkassen Strafanzeige erstattet. Die Schadenssumme liegt im Millionenbereich. „Doch was viel schwerer wiegt, sind die körperlichen und seelischen Folgen bei den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Durch solche Machenschaften schwindet das Vertrauen in die qualitativ gute Gesundheitsversorgung in unserem Land“, so Dina Michels. „Es ist gut, dass der Gesetzgeber auf die Forderung der Krankenkassen eine lebenslange Beschäftigtennummer für Pflegekräfte in Pflegediensten eingeführt hat. Diese ist in den elektronischen Abrechnungsdatensätzen anzugeben, so dass die Krankenkassen ihre Daten zusammenführen und übergreifend prüfen können.“
Betrug in der Gesundheitsbranche: ein offenes Geheimnis?
Bemerkenswert: Die Mehrheit der Deutschen zwischen 18 und 70 Jahren (58 Prozent) hat laut der forsa-Umfrage selbst schon einmal Erfahrungen mit Betrugsdelikten im Gesundheitswesen gemacht oder kennt Betroffene im eigenen Umfeld. Besonders auffällig auch hier der Pflegebereich. So geben 41 Prozent der Befragten an, dass aus ihrer Familie oder ihrem Bekanntenkreis jemand trotz zuerkanntem Pflegegrad nicht ausreichend versorgt wurde – sei es aufgrund unzureichend ausgebildeter Pflegekräfte oder nicht erbrachter Leistungen. Zudem kennt jeder Vierte in seinem persönlichen Umfeld mindestens einen Patienten, der vom Facharzt an ein bestimmtes Krankenhaus überwiesen wurde, sprich nicht das Krankenhaus seiner Wahl aufsuchen konnte. Und jeder Fünfte weiß von jemandem, der direkt in der Arztpraxis Bandagen für Rücken oder Knie erhalten hat, oder hat dies selbst erlebt. All das sind Spielformen betrügerischen Verhaltens, die im deutschen Gesundheitswesen allein in den Jahren 2020/2021 finanzielle Schäden von rund 132 Millionen Euro verursacht haben.
Novum: Künstliche Intelligenz im Kampf gegen Fehlverhalten
Der niedersächsische Sozialminister Dr. Andreas Philippi hält die Arbeit der Stellen zur Fehlverhaltensbekämpfung der Krankenkassen für zentral, da nur durch konsequente Aufdeckung von Straftaten die Integrität unseres Gesundheitssystems gewahrt werden kann. „In Zukunft bieten die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz neue Chancen, große Datenmengen effizient zu überprüfen und den Aufwand der Betrugsbekämpfung in vertretbaren Grenzen zu halten.“ Auch Expertin Dina Michels sieht in datenbasierten Verfahren mittels KI-Algorithmen großes Potential im Kampf gegen die typischen Straftaten im Gesundheitswesen. „Wir wirken daher an einem Pilotprojekt der BITMARCK mit und haben eine Vereinbarung mit dem Fraunhofer Institut initiiert, um Abrechnungsanomalien künftig noch besser aufdecken sowie effektiver und effizienter bekämpfen und verhindern zu können.“
Tätern gemeinsam das Handwerk legen – Schutz für Whistleblower
Straftaten aufzudecken und zu verfolgen, ist ein komplexes Unterfangen. Voraussetzung Nummer eins ist, dass Krankenkassen Hinweise auf mögliche Betrugsfälle erhalten. Hierdurch besteht die Chance, Tätern auf die Schliche zu kommen. Die häufigsten Hinweisgeber sind der Medizinische Dienst (MD), andere Krankenkassen sowie die Polizei. Grundsätzlich kann jeder den Krankenkassen einen Verdacht melden. „Wer meint, Zeuge bewusster Falschabrechnung zu sein, weiß oft gar nicht, dass er das anonym oder namentlich melden kann“, erklärt Michels. Das spiegeln auch die Ergebnisse der forsa-Umfrage wider. So ist der deutlichen Mehrheit der Befragten (71 Prozent) nicht bekannt, dass Fehlverhalten im Gesundheitswesen anonym gemeldet werden kann.
Jedem Hinweis auf Fehlverhalten wird bei der KKH vertraulich nachgegangen. Meldungen sind online möglich über das elektronische BKMS-Hinweis-System unter www.kkh.de/betrugsverdacht oder per Mail an betrugsverdacht@kkh.de. Im Juli vergangenen Jahres ist das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft getreten. Es soll Personen, die verdächtiges Fehlverhalten melden – sogenannte Whistleblower –, vor arbeits- oder strafrechtlichen Konsequenzen bewahren. Dina Michels begrüßt dieses Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern, denn: „Hinter jedem noch so kleinen Anfangsverdacht auf Fehlverhalten kann sich ein raffiniertes Betrugssystem verbergen, mit dem rechtswidrig hohe Beträge in die eigene Tasche abgezweigt werden – Beträge, die den Versicherten für die medizinische Versorgung fehlen. Denn die bittere Pille ist, dass am Ende die Beitragszahlenden finanziell für die Machenschaften gewissenloser Täter geradestehen müssen.“
Die TOP DREI Leistungsbereiche nach Höhe der Schadenssumme 2023 (gerundet):
Die TOP DREI nach Zahl der Tatverdächtigen aus Fällen/Hinweisen 2023:
Die TOP DREI nach Zahl der Anfangsverdachte 2023:
KKH-Fachtagung ‚Betrug im Gesundheitswesen‘
In diesem Jahr findet die KKH-Fachtagung ‚Betrug im Gesundheitswesen‘ am 15. und 16. Mai 2024 zum zehnten Mal statt. Erwartet werden namhafte Expertinnen und Experten aus der Justiz, aus Ministerien, von Polizei- und Finanzbehörden sowie Krankenkassen und Verbänden, die Abrechnungsbetrug und Korruption bundesweit gemeinsam den Kampf angesagt haben. Zu ihnen zählt Silke Kühlborn von der Staatsanwaltschaft Leipzig, Leiterin einer Abteilung für Wirtschaftsstrafrecht mit vier Dezernaten zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen: „Aufgrund der inzwischen über zehn Jahre hinweg erarbeiteten Expertise gelingt es uns in enger Zusammenarbeit mit dem zuständigen Fachkommissariat der Polizei in Leipzig, immer mehr Betrugsfälle durch akribische Ermittlungsarbeit aufzudecken, vor Gericht zu bringen und rechtskräftige Verurteilungen zu erzielen. Es ist erschreckend festzustellen, welche kriminelle Energie die Beschuldigten bei ihren Taten teilweise an den Tag legen. Ohne spezialisierte Ermittler bei den Strafverfolgungsbehörden bleiben eine Vielzahl dieser Taten jedoch weiter unentdeckt, werden die Täter nicht zur Verantwortung gezogen und entgehen dem Gesundheitssystem hohe Schadensersatzforderungen. Ich kann deshalb nur für die Einrichtung weiterer Sonderdezernate oder Schwerpunktstaatsanwaltschaften werben.“ Referiert und diskutiert wird bei der Fachtagung über gesetzliche Neuregelungen, Praxisbeispiele sowie auch den Einfluss von Künstlicher Intelligenz auf die künftige Ermittlungsarbeit. Eine Teilnahme ist ausschließlich in Präsenz möglich. Tagungsort ist die Medizinische Hochschule Hannover (MHH). Weitere Informationen zur Veranstaltung unter kkh.de/fachtagung.
In eigener Sache: KKH-Personalie
Dina Michels, Juristin und Betriebswirtin (MBA) sowie erfahrene, deutschlandweit gefragte KKH-Chefermittlerin in Sachen Betrug im Gesundheitswesen, geht in den Ruhestand und scheidet Ende Mai 2024 aus dem Unternehmen aus. Ihre Nachfolge tritt der 38-jährige Jurist Emil Penkov an, seit 2019 bei der Stelle für Fehlverhaltensbekämpfung im Gesundheitswesen der KKH tätig.
Hintergrundinformationen:
Das Meinungsforschungsinstitut forsa hat im Auftrag der KKH vom 2. bis 5. April 2024 bundesweit 1.004 Personen im Alter von 18 bis 70 Jahren repräsentativ befragt. Die Fragestellungen: Wie anfällig ist das deutsche Gesundheitswesen in Bezug auf Betrugsdelikte? Haben Sie schon einmal in Ihrem persönlichen Umfeld Betrug im Gesundheitswesen wahrgenommen? Haben Sie schon einmal davon gehört oder gelesen, dass man Fehlverhalten bzw. Betrug im Gesundheitswesen anonym melden kann – zum Beispiel auf einer Hinweisgeber-Plattform im Internet?
Mit rund 1,6 Millionen Versicherten, einem Haushaltsvolumen von rund 7,5 Milliarden Euro und rund 4.000 Mitarbeitenden zählt die KKH Kaufmännische Krankenkasse als eine der größten bundesweiten Krankenkassen zu den leistungsstarken Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung. Nähere Informationen erhalten Sie unter Kurzporträt der KKH | KKH.
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