

Gesundes-Herz-Gesetz bricht mit den Grundsätzen der Prävention
Eine neue Studie hat ergeben, dass die Deutschen im Vergleich zu anderen westlichen Industrienationen zu wenig gesunde Lebensjahre und eine unterdurchschnittliche Lebenserwartung haben1. Dabei verschlechterte sich die Tendenz in den letzten 20 Jahren sogar: Der Abstand in der Lebenserwartung zwischen deutschen Männern und Männern in anderen westeuropäischen Ländern hat sich um 0,7 Jahre vergrößert. Bei Frauen beträgt der Unterschied nun 0,6 Jahre. Als Hauptursache gilt im Wesentlichen eine höhere Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im fortgeschrittenen Erwachsenen- bzw. Rentenalter. Die immer noch hohe kardiovaskuläre Sterblichkeit in Deutschland lässt sich scheinbar auch auf unzureichende Prävention und Primärversorgung zurückführen. Dieser Problematik will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nun mit einem Gesetzentwurf für ein Gesundes-Herz-Gesetz den Kampf ansagen. Doch obwohl inzwischen gemeinhin bekannt ist, dass für die Herzgesundheit der sozioökonomische Status und damit zusammenhängend der Zugang zu Bewegung, gesunder Ernährung und allgemein gesunder Lebensweise maßgeblich ist, setzt Lauterbach der Einfachheit halber auf medikamentöse Therapien und Leistungserweiterungen.
Laut dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen Kinder und Jugendliche einen gesetzlichen Anspruch auf Früherkennungsuntersuchungen einer Fettstoffwechselerkrankung mit Fokus auf familiäre Hypercholesterinämie erhalten. Bei der Gesundheitsuntersuchung (GU) nach § 25 Absatz 1 SGB V im Bereich Herz-Kreislauf-Erkrankungen soll eine nach Alter und Risiko gestufte Leistungserweiterung umgesetzt werden. Die konkrete Umsetzung soll nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen per Rechtsverordnung erfolgen, sondern durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Krankenkassen werden verpflichtet, zur Teilnahme an der J1-Untersuchung einzuladen. Um die erweiterten Früherkennungsuntersuchungen zu finanzieren, sollen Mittel der Krankenkassen für die Prävention vor Ort umgewidmet werden. Damit wendet sich die Bundesregierung vom Präventionsgedanken, also der Risikominimierung für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ab und richtet sich auf organbezogene und medikamentöse Therapien aus.
- Der Gesetzentwurf rollt die angestrebten Präventionsmaßnahmen zu Lasten bereits etablierter und wirksamer Präventionsangebote aus. Die Umwidmung von Präventionsgeldern für Leistungserweiterungen und zusätzliche Arzneimitteltherapien wird dazu führen, dass Präventionskurse der Krankenkassen, die insbesondere auf Verhaltensänderungen abzielen, nicht mehr im gleichen Maße wie bisher finanzierbar sind. Damit werden auch die Angebotsstrukturen von 110.000 von der Zentralen Prüfstelle Prävention (ZPP)2 zertifizierten Maßnahmen von über 67.000 Anbietern von Präventionsleistungen, insbesondere von lokalen Sportvereinen, gefährdet. Aus Sicht der KKH wird so ein falscher Anreiz gesetzt. Das Gesetz schränkt zudem den Handlungsspielraum des G-BA für evidenzbasierte Entscheidungen unzulässig ein. Die Ausweitung der Check-up-Untersuchungen ist weder evidenzbasiert noch nutzenorientiert. Die kontraproduktiven und präventionsgefährdenden Maßnahmen sollten deshalb komplett aus dem Gesetzentwurf entfallen.
Der G-BA wird verpflichtet, ein neues krankheitsübergreifendes DMP zu entwickeln, das sich an Versicherte mit behandlungsbedürftigen Risiken in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen richtet. Bereits geregelte DMPs sollen um die Einschreibung von behandlungsbedürftigen Versicherten mit einem hohen Risiko für die Entwicklung der jeweiligen Erkrankung erweitert werden. Krankenkassen sollen verpflichtet werden, ihren Versicherten strukturierte Behandlungsprogramme anzubieten und entsprechende Verträge mit den Leistungserbringern zu schließen. Das Verfahren wird zudem vereinfacht, indem auf die Zulassung durch das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) verzichtet wird.
- Die Absichten des GHG entsprechen nicht dem ursprünglichen Anliegen der DMPs und werden daher von uns abgelehnt. DMPs sind auf chronisch Erkrankte ausgerichtet und ermöglichen eine strukturierte Behandlung dieser vulnerablen Patient*innengruppe. Ein Einbezug von Risikogruppen, bei denen bisher noch keine Diagnosestellung erfolgt ist, könnte aufgrund einer hohen Zahl zusätzlicher Teilnahmen zu einer Überversorgung und einer zusätzlichen Belastung der ärztlichen Praxen führen. Das wirkt sich wiederum zulasten der Versorgung für chronisch und akut Kranke aus.
Die Verschreibungsfähigkeit von Statinen in bestimmten Risikokonstellationen soll erleichtert werden, um schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle zu verhindern. Dafür wird ein rechtlicher Anspruch auf eine Versorgung mit Lipidsenkern eingeführt. Der G-BA soll dazu das Nähere, insbesondere hinsichtlich der notwendigen Festlegungen von Ereignisrisiken bestimmen. Vertragsärzt*innen erhalten die Möglichkeit, Statine für Patient*innen frühzeitiger als zuvor und entsprechend ihrem individuellen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verordnen. Obwohl der vorliegende Kabinettsbeschluss keine Mehrausgaben für die GKV ausweist, schätzte allein schon der Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums die mit dem erweiterten Anspruch verbundenen Mehrausgaben mittelfristig auf eine Höhe von 90 Millionen Euro.
- Obwohl gegenüber dem Referentenentwurf die Verantwortung für die Ausgestaltung des rechtlichen Anspruchs wieder dem G-BA übertragen wurde, wird weiterhin ungerechtfertigt in die Kompetenz des G-BA zur Konkretisierung des Leistungskatalogs eingegriffen. Damit wird von den bewährten Grundlagen evidenzbasierter Medizin abgewichen und die ärztliche Therapiefreiheit unzulässig eingeschränkt. Darüber hinaus entstehen der GKV zusätzliche Kosten für Medikamentierung, statt das wirksamere Präventionsangebot der GKV zu unterstützen. Die Regelungen werden daher in Gänze abgelehnt.
Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln zur Tabakentwöhnung soll ausgeweitet werden. Er soll künftig nicht mehr auf eine „schwere Tabakabhängigkeit“ beschränkt sein und häufiger als alle drei Jahre finanziert werden. Der Gesetzentwurf veranschlagt für diese Maßnahme lediglich Mehrkosten von rund 10 Millionen Euro, erste Schätzungen zeigen jedoch eher in die Richtung eines Ausgabenvolumens eines niedrigen Milliardenbetrages! Die Erteilung einer ärztlichen Präventionsempfehlung zur Tabakentwöhnung und zum Ernährungsverhalten soll außerhalb der Gesundheitsuntersuchungen regelmäßig extrabudgetär vergütet werden. Auch diese Zusatzleistungen sollen durch eine Umwidmung der Gelder für Präventionsleistungen finanziert werden.
- Durch die Einführung neuer Präventionsmaßnahmen zur Tabakentwöhnung und zu Präventionsempfehlungen entstehen der GKV erhebliche Mehrausgaben, die aktuell nur schwer kalkulierbar sind. Sie werden aber um ein Vielfaches über den Annahmen der Bundesregierung liegen – und dies zulasten der Finanzierung von Präventionsprogrammen, die Menschen aktiv bei einer Verhaltensänderung unterstützen sollen. Durch die Umwidmung der Gelder stünden ärztliche Präventionsempfehlungen zudem einem eingeschränkten Angebot bzw. einer eingeschränkten finanziellen Unterstützung für Kurse gegenüber. Darüber hinaus ist unklar, ob der Leistungsanspruch weiterhin gesetzlich an die Teilnahme an einem evidenzbasierten Programm zur Tabakentwöhnung gebunden sein soll, was entscheidend für eine langfristige Entwöhnung ist. Die Regelungen zur Tabakentwöhnung sollten daher aus dem Gesetzentwurf entfallen, die Eigenverantwortung der Versicherten gestärkt und der Fokus mehr auf die frühe Suchtprävention gelenkt werden. Der Überarbeitung und Bewertung aktuell bestehender gesetzlicher Regelungen zur medikamentösen Tabakentwöhnung durch den G-BA sollte nicht vorgegriffen werden.
Medikamentöse Therapien sind im Sinne des Präventionsgedankens weder zielführend, lösungsorientiert noch evidenzbasiert. Der richtige Ansatz wären politikbereichsübergreifende Maßnahmen und eine koordinierte und strukturierte Verhältnisprävention. Im weiteren Verlauf des Newsletters finden Sie verschiedene und erfolgreich evaluierte Beispiele aus der Präventionswelt der KKH. Sie zeigen, wie Prävention richtig umgesetzt und Wirksamkeit entfaltet wird, ohne die Interessen der Pharmaindustrie zu bedienen. Doch gerade dieser Ansatz wird mit dem Gesetzentwurf unterwandert, indem Gelder für erfolgreiche und evidenzbasierte Präventionsmaßnahmen der Kassen abgezogen werden. Es sollte daher insgesamt von dem Gesetzentwurf abgesehen werden. Stattdessen sollte die Verhaltens- und Verhältnisprävention gestärkt und die Leistungsentwicklung der Selbstverwaltung überlassen werden.
1 https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-024-03867-9
2 Die ZPP ist eine Kooperationsgemeinschaft gesetzlicher Krankenkassen zur Zertifizierung von Präventionskursen nach § 20 SGB V. Sie stellt u.a. deutschlandweit eine einheitliche Prüfung von Präventionskursen sicher und sichert damit allgemein anerkannten Qualitätsstandards auf Basis des Leitfadens Prävention. Mehr unter: https://www.zentrale-pruefstelle-praevention.de/wp-content/uploads/2023/09/Eckdaten-Aufgaben-Pruefprozess_Stand-26.09.2023.pdf
Noch nicht gefunden, wonach Sie suchen?