

Dr. Wolfgang Matz im Interview
Das plötzliche Ampel-Aus hat dringende Gesundheitsreformen auf Eis gelegt. Die Lösung der Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist jedoch dringender denn je. Dem deutschen Gesundheitswesen mangelt es weiterhin an Effizienz und zielgenauen Versorgungsangeboten. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen an eine neue Bundesregierung, die am 23. Februar gewählt werden soll. Wesentlich für zukünftige Gesundheitsreformen ist aus Sicht von Dr. Wolfgang Matz, Vorstandsvorsitzender der KKH Kaufmännische Krankenkasse, eine Rückkehr zu den ursprünglichen Prinzipien, bei denen der Staat für gesamtgesellschaftliche Aufgaben aufkommt und die Krankenkassen sich auf die direkte Versorgung der Versicherten konzentrieren.
In diesem Newsletter stellen wir Ihnen die Positionen der KKH zur Bundestagswahl 2025 vor. Diese finden Sie u.a. hier.
Herr Dr. Matz, wie würden Sie den derzeitigen Zustand der Gesundheitsversorgung in Deutschland beschreiben?
Grundsätzlich haben wir gute Voraussetzungen für eine solide Gesundheitsversorgung. 2023 kam durchschnittlich ein*e Ärzt*in auf 197 Einwohner*innen. Das ist die dritthöchste Ärzt*innendichte in der EU. Im stationären Sektor hat Deutschland immer noch die zweithöchste Bettendichte in Europa. 2022 investierte Deutschland rund 12,6 Prozent des BIP in das Gesundheitswesen. Das ist so viel wie nie zuvor und gemessen an der Wirtschaftsleistung der höchste Anteil unter allen EU-Staaten.
Diese Zahlen widersprechen jedoch dem realen Empfinden der Bürger*innen. Laut aktuellen Umfrageergebnissen ist der Anteil der Befragten, die den Zustand der Gesundheitsversorgung als zufriedenstellend bewerten, in den letzten zwei Jahren von 81 auf 67 Prozent zurückgegangen. Gründe waren unter anderem Schwierigkeiten, eine hausärztliche Praxis zu finden, lange Wartezeiten für Termine bei Fachärzt*innen oder Medikamentenengpässe. Diese Widersprüche zeigen, dass Schwierigkeiten darin bestehen, Angebot und Nachfrage bei der Gesundheitsversorgung zusammenzuführen und die Effizienz im System zu heben. Daran hat auch die Gesundheitspolitik der Ampel nichts geändert.
Zu dem allgemeinen Vertrauensverlust in die Gesundheitsversorgung kommt, dass die gesetzlich Versicherten ab 2025 wieder mehr Beiträge zahlen müssen. Wie konnte es dazu kommen?
Das ist richtig. 82 der 94 gesetzlichen Kassen haben den Zusatzbeitrag angehoben, im Schnitt um gut einen Prozentpunkt auf 2,92 Prozent. Das liegt noch über der Prognose des Schätzerkreises, der 2,5 Prozent vorausgesagt hatte. Leider hat die Politik bisher für die Problematik kontinuierlich stärker steigender Ausgaben als Einnahmen keine Lösungen angeboten. Im Gegenteil: Viele der Reformen der letzten Jahre haben diese Entwicklung mit befeuert. Das betrifft insbesondere die steigenden Kosten für Krankenhausversorgung und Arzneimittel. Aber auch Entscheidungen, Ausschreibungen für bestimmte Versorgungsbereiche den Kassen zu untersagen, gehören dazu. Gerade in diesen Bereichen sehen wir nun besonders starke Ausgabenanstiege. Erschwerend kommt hinzu, dass die gesetzlichen Krankenkassen wiederholt gezwungen wurden, ihre Rücklagen abzubauen und zusätzlich weitere Aufgaben ohne Gegenfinanzierung zu übernehmen. Diese Entwicklung wird aktuell durch die Absicht getoppt, die dringend notwendige Krankenhausstrukturreform hauptsächlich durch Beitragsgelder finanzieren zu wollen. Und das, obwohl das Vorhalten einer stationären Versorgungsstruktur eine staatliche Aufgabe ist. Das und die weiterhin ungebremsten Kostensteigerungen in den anderen Versorgungsbereichen werden auch weiterhin zu steigenden Beiträgen führen, wenn die Politik nicht endlich anfängt aktiv gegenzusteuern.
Was muss die zukünftige Bundesregierung tun, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten?
Eine nachhaltige und kostendeckende Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist eng verwoben mit einer Rückbesinnung auf die ursprünglich angedachte Ordnungspolitik zwischen Staat und Gesundheitsakteuren. Diese ist in den letzten Jahren immer wieder zu Ungunsten der Beitragszahler*innen verschoben worden. Fehlende Krankenhausinvestitionskosten werden dauerhaft über die von Kassen zu bezahlenden Behandlungs- und Pflegepersonalkosten querfinanziert. Versicherungsfremde Leistungen werden nicht kostendeckend durch Steuergelder gegenfinanziert. Immer wieder wird auf Mittel aus dem Gesundheitsfonds zurückgegriffen, um Sonderinvestitionen in Digitalisierung, Innovationen und Strukturreformen zu tätigen. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssen aber von allen finanziert werden, um eine gerechte und solidarische Versorgung zu gewährlisten. Der Staat, also Bund, Länder und Kommunen müssen hier endlich wieder ihrer Verantwortung gerecht werden.
Dass zur Umsetzung der politischen Entscheidungen immer wieder in die Rücklagen der Krankenkassen gegriffen wird, scheint pragmatisch zu sein, ist aber in der Realität kurzsichtig und gesellschaftsschädigend. Die Finanzierung versorgungsfremder Leistungen durch Beitragsgelder der GKV belastet vor allem die unteren und mittleren Einkommensklassen, denn nur diese sind in der GKV pflichtversichert. Privatversicherte, die meist über ein hohes Einkommen verfügen, können sich so der Finanzierung von gesamtgesellschaftlichen Infrastrukturkosten entziehen. Wenn diese Fehler nicht korrigiert werden, machen die Parteien der demokratischen Mitte das Geschäft der links- und rechtsextremen Parteien. Ich halte das nicht nur für riskant, sondern für schädlich für die Demokratie und damit für die Basis der Gesellschaft.
Dass diese Fehler, die auch noch die verfassungsrechtliche Ordnung bewusst ignorieren, nicht von Gerichten überprüft werden, liegt auch daran, dass dem Gesetzgeber kaum Einhalt geboten werden kann. Wir als gesetzliche Krankenkasse haben beispielsweise keine Möglichkeit, politische Entscheidungen vor dem Bundesverfassungsgericht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Wir fordern deshalb ein Klagerecht für die gesetzlichen Krankenkassen, stellvertretend für ihre Versicherten, damit Beitragsgelder gegen staatliche Übergriffe besser geschützt werden und wieder für die eigentliche Versorgung zur Verfügung stehen.
Die Gesundheitsversorgung wandelt sich, unter anderem durch den Einzug der Digitalisierung oder durch neue Therapien und Versorgungsmöglichkeiten. Wirkt sich das auch auf das Selbstbild der gesetzlichen Krankenkassen aus?
Auf jeden Fall. Die gesetzlichen Krankenkassen werden traditionell als Kostenträger bezeichnet und betrachtet. Ihre Aufgabe bestand lange Zeit hauptsächlich darin, festgelegte medizinische Leistungen zu finanzieren, die Versichertengelder wirtschaftlich zu verwalten und deren Missbrauch zu verhindern. Diese beschränkte Rolle ist aus meiner Sicht heutzutage nicht mehr angemessen. Das Versorgungssystem wird zunehmend komplexer, im Gegenzug sinkt die Gesundheitskompetenz der Deutschen. Untersuchungen zeigen, 80 Prozent der Menschen haben Schwierigkeiten, sich in unserem komplexen Versorgungssystem zurecht zu finden – insbesondere Patient*innen mit multiplen bzw. chronischen Erkrankungen.
Bei uns Kassen laufen die Daten aus allen Versorgungsbereichen zusammen. Außerdem sind wir für die Versicherten konstante, wenn nicht sogar lebenslange Ansprechpartner. Das prädestiniert die Kassen eigentlich dafür, die Versorgung effizienter zu gestalten und ihre Versicherten auf dem Versorgungspfad aktiv zu begleiten. Aber obwohl sowohl Versicherte als auch Kassen sich diese neue Rolle ausdrücklich wünschen, hinkt die Politik hinterher. Wir wünschen uns, dass den Kassen relevante Daten schneller und in besserer Qualität für Versorgungsverbesserungen zur Verfügung stehen. Darüber hinaus gehören dazu ein regelhafter Anspruch für Versicherte auf Unterstützungsleistungen in komplexen Versorgungslagen oder die Möglichkeit der Datennutzung für eine individuelle und patientenzentrierte Versorgungssteuerung. Hier wären die Beitragsgelder auf jeden Fall besser investiert als beim notdürftigen Stopfen von staatlichen Finanzierungslücken.
Das hört sich so an, als könnte sich der Kassenwettbewerb zukünftig mehr auf die Qualität der Versorgung ausrichten. Widerspricht das nicht der aktuellen Entwicklung der Zusatzbeiträge, die eher einen Preiswettbewerb vermuten lässt?
Eine zeitgemäße und qualitativ hochwertige Versorgung funktioniert natürlich nur, wenn die Kassen auch finanziellen Spielraum für die Entwicklung von eben genannten Versorgungsinnovationen haben. Leider verteilt der Finanzausgleich zwischen den einzelnen Kassen auch nach der Reform des Risikostrukturausgleichs (RSA) 2020 die Zuweisungen noch immer wettbewerbsrelevant ungleich. Kassen mit, lapidar gesagt, vielen alten oder kranken Versicherten erhalten gemessen am Versorgungsbedarf geringere Zuweisungen als Kassen mit vielen Jungen oder Gesunden. Das setzt gerade die sogenannten Versorgerkassen einem harten Preiswettbewerb aus. Für Versorgungsinnovationen bleibt somit wenig Spielraum, obwohl gerade hochbetagte und multiple Erkrankte den größten Nutzen davon hätten. Zusätzlich muss diese sowieso schon belastete Versichertengruppe die höchsten Zusatzbeiträge stemmen. Das empfinde ich als wenig gerecht. Wir fordern daher, dass die Reform des RSA wieder auf die politische Agenda kommt. Ziel muss ein Finanzausgleich sein, der es Kassen ermöglicht, für eine kompetente Versorgungssteuerung die notwendigen Zuweisungen zu erhalten. Wettbewerbliche Elemente, die qualitativ hochwertige Versorgung fördern, wären – vermutlich außerhalb des RSA – in einer alternden Gesellschaft ebenfalls ein guter Ansatz.
Bundestagswahl 2025
Unsere Positionen als gesetzliche Krankenkasse
Das deutsche Gesundheitswesen steht noch immer vor vielfältigen Herausforderungen. Wir stellen Ihnen die aus Sicht der KKH Kaufmännische Krankenkasse wichtigsten Punkte für die dringend notwendige Fortentwicklung unseres Gesundheitssystems vor.
