

Das Potenzial der Gesundheitsprävention muss ausgeschöpft werden
In der Kritik am GHG sind sich die Verbände der Leistungserbringer und Kostenträger einig: Nur durch selektive organbezogene Maßnahmen kann keine erfolgreiche und nachhaltige Prävention gelingen. Es bedarf hier gesamtgesellschaftlicher und langfristig tragfähiger Vorgehensweisen, um die sozialen und umweltbedingten Ursachen von Volkskrankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmter Krebserkrankungen zu bekämpfen. Die Präventionsarbeit wurde in den letzten Jahren, insbesondere durch das 2015 verabschiedete Präventionsgesetz (PrävG), mit der Nationalen Präventionskonferenz und der dort zu entwickelnden nationalen Präventionsstrategie weiter vorangebracht. Trotzdem stehen die Gesundheitsprävention und -förderung weiterhin vor komplexen Herausforderungen. Darunter die Ungleichheit im Zugang zu präventiven Maßnahmen, das Fehlen langfristiger Präventionsprogramme, die tiefgreifende Verhaltensänderungen erzielen können, und nicht zuletzt eine ausreichende und nachhaltige Finanzierung. Diese Herausforderungen erfordern ein koordiniertes Handeln von Politik, Gesundheitswesen und Gesellschaft, um die Gesundheitsprävention in Deutschland zu verbessern.
Evidenzbasierte Prävention
Die Bundesregierung hat mit dem Präventionsgesetz das Ziel formuliert, Prävention und Gesundheitsförderung müsse dem Anspruch der Evidenz gerecht werden. Die auf der Nationalen Präventionskonferenz erarbeiteten Bundesrahmenempfehlungen legen fest, dass die verhältnis- und verhaltensbezogenen Maßnahmen möglichst unter Nutzung wissenschaftlicher bzw. evidenzbasierter Programme oder qualitätsgesicherter Ansätze umgesetzt werden sollen. Die GKV realisiert dies mit dem Leitfaden Prävention. Dieser legt u.a. für das Angebot einer individuellen verhaltenspräventiven Maßnahme fest, dass hierfür in Studien oder Metaanalysen ein Nachweis der Wirksamkeit erbracht werden muss. Nur wirksame Konzepte sind demnach förderfähig. Dennoch ist Theorie nicht gleich Praxis und in der Realität stellt der Ruf nach Evidenz die Präventionsakteure immer wieder vor Herausforderungen. Neben den durch die Krankenkassen beeinflussbaren Verhaltensweisen und Verhältnissen haben auch strukturelle Bedingungen wie etwa die Verfügbarkeit von Bewegungsräumen oder die unzureichend ausgestalteten Werbegesetze für zuckerhaltige Lebensmittel einen wichtigen Einfluss. Evaluationskonzepte sind darüber hinaus meist sehr individuell, sodass der Nutzen und die Übertragbarkeit für andere Projekte und Ansätze eingeschränkt sind. Dazu kommt, dass Fördergelder des Bundes oft nur für neue Projekte ausgeschrieben werden und nicht dafür, Wirknachweise zu erbringen, Maßnahmen über einen längeren Zeitraum zu etablieren und dann wissenschaftlich zu evaluieren. Es fehlen ein transparenter Wissensstand und ein gemeinsamer Erkenntnisgewinn zwischen Forschung und Praxis.
- Um dem Ziel evidenzbasierter Prävention näher zu kommen, sollte der Fokus noch mehr auf die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen gelenkt werden, sowohl bei der Entwicklung als auch bei der Evaluation. Qualitätsstandards und Best Practices sollten für die Evaluation von Präventionsvorhaben standardmäßig etabliert werden. Bereits etablierte Ansätze sind intensiver zu erforschen, um epidemiologische Erfolge sichtbar zu machen. Auch das in Entstehung befindliche Nachfolgeinstitut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) könnte eine stärkere Rolle einnehmen, als es bisher bei der BZgA der Fall war. Hier könnte beispielsweise ein zentrales Informationsportal für erfolgreiche oder auch schädliche Präventionsansätze installiert werden. Das BIPAM könnte darüber hinaus den Präventionsakteuren Gesundheits- und Verhaltensdaten der Bevölkerung zur Verfügung stellen, um Auswirkungen und Prävalenz von Präventionsprogrammen besser untersuchen zu können.
Health-in-all-Policies
Aktuell liegt die Finanzierung im Bereich der Setting-Prävention fast ausschließlich bei der GKV. Dies führt dazu, dass Präventionsmaßnahmen oft punktuell und nicht ausreichend koordiniert sind. Gerade bei dem Einfluss auf die Lebensverhältnisse, also beispielsweise beim leichten Zugang zu Sport, gesunder Ernährung und sozialem Miteinander sind auch andere politische und gesellschaftliche Akteure gefragt. Die Wirksamkeit der Verhältnisprävention der GKV allein ist begrenzt. Dabei ist die Verhältnisprävention noch besser als die Verhaltensprävention geeignet, auch Gruppen mit niedrigem sozialem Status zu erreichen. Der demografische Wandel und neue Umwelteinflüsse wie der Klimawandel verleihen dem Thema Verhältnisprävention zudem eine neue Dringlichkeit.
- Es ist ein umfassender Ansatz notwendig, der über die GKV hinausgeht und Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe versteht – das Stichwort lautet hier Health-in-all-Policies. Nur mit einem integrierten Ansatz, der alle relevanten Politikbereiche einbezieht, kann die Gesundheit – insbesondere die von Kindern – effizient und wirksam geschützt werden. Die Förderung intersektoraler Kooperationen sollte gestärkt werden. Hierzu bedarf es auch einer besseren Koordination zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die Bundesrepublik sollte erfolgreichen Maßnahmen anderer Länder folgen, wie der Einführung einer Zuckersteuer auf Softdrinks oder einer langfristigen und flächendeckenden Ernährungsinitiative für eine nachhaltige und gesundheitsförderliche Gemeinschaftsverpflegung in Kitas, Schulen, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern. Letztendlich sollten alle Gesetzesvorhaben einen Health-in-all-Policies-Check durchlaufen, um negative Auswirkungen auf die Gesundheit, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, zu vermeiden.
Strukturaufbau und Vernetzung
Präventionsprojekte werden oftmals als eigenes Projekt gedacht und wenig in alltägliche Strukturen und Prozesse einbezogen. Dies macht sie ineffizient und sorgt oftmals dafür, dass sie nicht langfristig in den Alltag der Lebenswelten integriert werden können. So werden funktionierende Präventionsansätze wieder fallen gelassen und neue Projekte begonnen. Es entsteht oftmals eine Art „Projektitis“, also die Tendenz, viele kurzfristige Projekte zu initiieren, ohne eine nachhaltige Strategie oder diese in bestehende Strukturen integriert zu haben. Das führt zu Projekten mit einem hohen finanziellen Aufwand trotz einer teilweise nur überschaubaren Reichweite. Dies gilt nicht nur für die Projekte der Krankenkassen, sondern auch für Projekte der BZgA. Präventionsprojekte, die langfristig fortgeführt und als fester Bestandteil etabliert werden, können eine größere und kosteneffizientere Wirkung erzeugen und mehr Personen erreichen. Sie können außerdem als Basis für eine konsequente Weiterentwicklung dienen.
- Es sollten langfristige Strategien gefördert werden, die auf nachhaltige Veränderungen abzielen. Das könnte etwa durch die Erstellung von Präventionsplänen erfolgen, die über mehrere Jahre hinweg verfolgt werden. Die Politik muss Hürden abbauen, um Gesundheitsförderung in bestehende Strukturen und Projektvorhaben zu integrieren. Durch die Schulung und Vernetzung von regionalen Fachkräften können die Professionalität in der Prävention verbessert und die Gefahr der Projektitis reduziert werden. Einzelne Einrichtungen, wie etwa Schulen, sollten nicht mit der Konzeptentwicklung beauftragt werden, sondern durch Informationen und Hinweise zu funktionierenden Konzepten unterstützt werden. Insgesamt muss eine positive Kosten-Nutzen-Bilanz von Präventionsprojekten im Vordergrund stehen.
Gesundheitsprävention hat nicht nur individuelle, sondern auch gesellschaftliche Vorteile. Deshalb müssen alle gesellschaftlichen und politischen Akteure ein Interesse an erfolgreicher Verhältnisprävention haben, nicht nur das Gesundheitswesen. Durch ein Zusammenspiel aller relevanten gesellschaftlichen Akteure kann nicht nur die Lebensqualität und -dauer der hier lebenden Menschen verbessert werden, sondern es spart gleichzeitig Kosten für das Gesundheitswesen. Positive Effekte im politischen, sozialen, ökologischen und ökonomischen Raum können darüber hinaus die Akzeptanz der Bevölkerung für Präventionsmaßnahmen steigern.
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