

Bodyshaming
Vorsicht mit unbedachten Kommentaren!
Onkel Jörg, Oma Trude: Wir müssen reden. Denn es ist nämlich überhaupt nicht okay, dass ihr eure Enkelin oder euren Neffen beim Weihnachtsessen auf deren Figur ansprecht. „Nimm ruhig noch einen Kloß, du hast ja gar nichts auf den Rippen“. Oder: „Meine kleine Pummelmaus hat heute richtig Appetit mitgebracht“ – beides vollkommen unangebracht. Und das gilt für ziemlich alle Kommentare, die ungefragt die Figur anderer bewerten oder einschätzen. Statt „alle Jahre wieder“, diesmal bitte einfach nicht! Es gibt bessere Gesprächsthemen als die ungefragte Bewertung von Körpern anderer Menschen.
Gut gemeint – und trotzdem völlig daneben
Denn beiläufig geäußerte Kommentare können ungeahnte Folgen haben. Das gilt ebenso für vermeintliche Komplimente: „Du hast abgenommen, Glückwunsch.“ Das Problem daran: Wer weiß, ob der beobachtete Gewichtsverlust freiwillig war – und nicht etwa Folge einer Krankheit? Ein diesbezüglicher Kommentar könnte alte Wunden aufreißen. Oder aber falsche Bestätigung vermitteln. Und Personen, die unter einer Essstörung leiden, motivieren, noch mehr abzunehmen. Und so dem eigenen Körper weiter schaden. Es bleibt dabei: Niemand weiß, was ein unbedachter Kommentar zu Körper und Aussehen unseres Gegenübers auslöst. Deshalb sollten wir ihn ungefragt einfach unterlassen. Auch wenn der Inhalt zunächst weit weg zu sein scheint von Bodyshaming, also der Herabwürdigung eines Menschen aufgrund seines Aussehens.
Bodyshaming
Bodyshaming bezeichnet die Herabwürdigung oder Beleidigung von Menschen aufgrund ihres Aussehens. Häufig sind übergewichtige Menschen von Bodyshaming betroffen. Aber auch Menschen mit Behinderung oder deren Aussehen in anderer Weise gängigen Schönheitsidealen nicht entspricht – etwa sehr dünne Menschen.
Der Vergleich mit anderen – um sich selbst besser zu fühlen?
Doch woher kommt der Wunsch nach Bewertung des Gegenübers? Die ungefragte Einteilung von Menschen in „zu dick“ oder „zu dünn“? Sich mit anderen zu vergleichen, ist nach Meinung von Expertinnen und Experten zunächst etwas überaus Menschliches. Typsache sei hingegen, in welcher Form der Vergleich geäußert wird. „Du siehst aber müde aus“ oder „Hast du zugelegt“, könnten zum Beispiel Versuche sein, das eigene Selbstwertgefühl auf Kosten anderer steigern zu wollen. Na ja, wer es braucht.
Schönheitsideale – mal dick mal dünn
Als Referenzgröße für derlei übergriffige Kommentare dienen häufig aktuell geltende Schönheitsideale. Es ist stark von der jeweiligen Kultur und Zeit beeinflusst. Schön ist, was gefällt – oder was gerade fehlt. So galten beispielsweise zur Zeit des Barocks vor rund 400 Jahren füllige Körper als besonders schön. Sie symbolisierten Wohlstand, waren Ausdruck, sich genügend Essen leisten zu können, statt wie viele andere hungern zu müssen. Gerade gilt bei uns wohl eine Kombination aus jung, sportlich, schlank als besonders erstrebenswert. Mit diesem Schönheitsideal wachsen viele Menschen auf. Es wird medial oder durch das persönliche Umfeld vermittelt – und verfestigt sich. Nun kann jeder und jede selbst entscheiden, wie sinnvoll es ist, einem solchen Schönheitsbild nachzueifern. Und dafür andere Werte oder Charaktereigenschaften zu vernachlässigen. Schließlich kommt wahre Schönheit doch von innen – und liegt im Auge der Betrachterin oder des Betrachters. Oder?
Social Media – dort, wo nur „schöne“ Menschen sein dürfen?
Doch es gibt Orte, wo solche Weisheiten wenig gelten. Auf vielen Social-Media-Plattformen ist makellose Schönheit die einzige Währung. Dank Filter und Künstlicher Intelligenz (KI) – überall Sonne, Strand und schöne Beine. Wer das nicht liefert, wird gnadenlos abgestraft. Bodyshaming aufgrund eines zu hohen oder niedrigen Body-Mass-Indexes droht für jedes gepostetes Bild. Nicht von übergriffigen Verwandten an der Weihnachtstafel. Sondern in der Kommentarspalte von selbsternannten x-beliebigen Schönheitsheriffs oder -richterinnen – ungefragt verteilt an Klassenkameradinnen oder Prominente gleichermaßen.
Was macht das mit uns?
Nun sind diese fiesen Körper-Bewertungs-Kommentare nur die eine Seite. Hinzu kommt das auf den Plattformen dominierende, verzerrte Schönheitsbild. Perfekte Gesichter, Bäuche, Muskeln – dank Filtern und Retuschen. Sie machen die gezeigte Schönheit im realen Leben unerreichbar. Einige Aufnahmen fehlt sogar ein menschliches Original. Sie sind stattdessen vollständig KI-erzeugt. Die makellose Schönheit der gezeigten Menschen damit auch. Die Schönheitswelten vermischen sich. Denn die KI-Models haben in den sozialen Netzwerken tausende echte Follower und konkurrieren bei Miss-Wahlen miteinander. Umso absurder, wenn diese KI-Beauties dann als persönliches Schönheitsideal herhalten sollen. Und ihre Bilder bei Friseuren oder Schönheitschirurgen gezeigt werden – mit dem Hinweis, selbst so aussehen zu wollen.
Was passiert, wenn sich junge Menschen mit einem vermittelten Schönheitsbild vergleichen, das unerreichbar ist? Die kurze Antwort: Es macht unglücklich. Und das hat reale Auswirkungen auf das eigene Selbstbild. Eine Studie fand heraus, dass insbesondere Mädchen unzufriedener mit dem eigenen Körper sind, die sich online viel mit anderen vergleichen. Die Gefahr eines geringeren Selbstwertgefühls, Online-Mobbing, Ess-, Schlaf- oder Konzentrationsstörungen – die Liste ließe sich beliebig fortführen. Viele Ärztinnen und Ärzte gehen davon aus, dass auch aufgrund von sozialen Netzwerken die Zahl psychisch erkrankter Kinder und Jugendlicher in den vergangenen Jahren enorm zugenommen hat. Australien zieht nun die Notbremse und erlaubt die Nutzung sozialer Netzwerke erst ab 16 Jahren. Was solch ein Verbot bringt, ist offen.
Statt Bodyshaming: Body-Positivity und Body Neutrality
Doch auch innerhalb der sozialen Netzwerke gibt es im wahrsten Sinne schöne Entwicklungen, hin zu einem realistischeren und positiveren Bild des eigenen Körpers. Die Body-Positivity-Bewegung hinterfragt bereits seit einigen Jahren den omnipräsenten Schlankheitswahn – und plädiert für eine liebevollere Sicht auf den eigenen Körper. Die Botschaft: Alle Körper sind schön. Damit kritisiert die Bewegung vor allem, wie unrealistisch und diskriminierend bestehende Schönheitsideale sind. Noch einen Schritt weiter gehen Aktivistinnen und Aktivisten, die sich für Body Neutrality einsetzen. Ihr Ziel: Das eigene Selbstwertgefühl weniger an die äußere Erscheinung zu koppeln. Den eigenen Wert zu sehen, egal wie man gerade aussieht. Vielleicht ist auch das die wichtigste Botschaft. An die Festtafel zu Onkel Jörg und Oma Trude. Vor allem aber an all die Bodyshaming-Kommentatoren und -Kommentatorinnen in den sozialen Netzwerken. Hören wir einfach auf damit, Körper zu bewerten. Nicht nur zu Weihnachten wäre das ein echtes Geschenk.
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